Anmerkung von Volker Lechler:
[Der nun folgende, im Original handschriftliche Aufsatz wurde, wie aus dem Zusammenhang zu entnehmen ist, von Eugen Grosche verfasst. Die im Text kleiner geschriebenen Stellen sollen verdeutlichen, dass Grosche hier Korrekturen eingefügt hat. Ich habe den Satzumbruch bewusst so belassen, damit die Authentizität nicht verfälscht wird. Auf eine Besonderheit möchte ich hinweisen: Bei mehreren der Texte stellte Eugen Grosche einen „Dr.“ vor seinen Namen, obwohl er nicht promoviert hatte.]
Leuchtende Regenwürmer
Schon seit Jahrzehnten beschäftigen sich unsere Naturforscher vergeblich mit der Ergründung der Lichtsubstanz, die vielen Insektenarten innewohnt. So ist es bis heute noch nicht einwandfrei gelungen, die Beschaffenheit der Lichtsubstanzen festzustellen, die unseren, so verbreiteten Glühwürmchen, Johanniswürmchen, Gotteslichtern oder wie sie sonst im Volksmunde heissen, ermöglichen, ihr intensives Licht auszustrahlen. Es stehen sich hier verschiedene Meinungen gegenüber.
Eine interessante Beobachtung auf diesem Gebiete hatte ich neulich in meinem Insektarium. Ich bemerkte des Nachts, im dunklen Zimmer, als ich an den Glaskasten des Insektariums herantrat, ein ganz schwaches Leuchten, das sich an der Innenseite der Glasscheibe punktweise hinzog und sich im Innern des Ameisenbaues verlor. Ich konnte bald feststellen, dass diese Punktlinien identisch mit den Hauptgängen des Baues waren. Also war es wahrscheinlich, dass es sich um leuchtende Fäulnisschimmelpilze handelte, die sich ja leider im Insektarium oft anzusiedeln pflegen. Ich sollte aber bald eines besseren belehrt werden. Eine genaue mikroskopische Untersuchung ergab das Fehlen jeder Pilzart und ich stellte stellenweise unzweifelhaft eine eigenartige Schleimabsonderung fest, eine organische Substanz, die nur von einem Tiere herrühren konnte. Nächtelang passte ich auf. Kamen doch allerlei verschiedene Arten Bewohner des Insektariums als Absonderer dieser Substanz in Frage, da sich mit den rotrückigen Waldameisen noch viele schmarotzende Bewohner im Bau aufhielten. Schnecken kamen nicht in Frage, denn dazu war die Absonderung viel zu schwach, um von schneckenartigen Tieren herzurühren und wie gesagt, auch nur mikroskopisch feststellbar.
Eines Abends erhielt ich jedoch die Lösung. Es waren zwei kleine Regenwürmer, die sich in den Hauptgängen des Baues bewegten und diese teilweise durchkreuzten. Diese beiden Regenwürmergesellen wurden nun von den Ameisen, wenn sie diesen bei ihren nächtlichen Streiffahrten begegneten, aufs heftigste angegriffen. So trugen die Würmer durch die Zangen der Ameisen zahlreiche Bissstellen davon, aus denen nun ein Sekret ausströmte, das in winzigen Atomen eine Leuchtsubstanz enthielt. Dieser sehr interessanten, bisher so seltenen Beobachtung ging ich auf den Grund und stellte fest, dass tatsächlich den Schnittflächen von Verletzungen, die ich den Würmern beibrachte, ein Leuchten ausströmte, das allerdings nicht lange anhielt. Andere Würmer, denen ich bei den Versuchen Verletzungen beibrachte, leuchteten nicht, sodass es sich also um einen Ausnahmefall handelt. Ich stellte also fest, dass es sich um ein leuchtendes, flüssiges Sekret der Innenorgane handeln musste. Dieser Ausnahmefall ist umso eigenartiger, da solche selbstleuchtenden Regenwürmer bisher nur in aussereuropäischen Ländern wahrgenommen worden sind. In Afrika, Brasilien und Java gibt es Würmer, deren Leuchtkraft so stark ist, dass man bei ihrem Licht die Schrift eines Buches, das Zifferblatt einer Uhr usw. erkennen kann. Meist handelt es sich um Schleimabsonderungen oder Darmsubstanzen, die diese Leuchtsubstanz entwickeln. Aber im Inland hat man bei den gemeinen Regenwürmern etwas derartiges, meines Wissens nach, nicht beobachtet oder es sind derartige Fälle nur selten an die Öffentlichkeit gekommen. Meistens ergaben genaue Nachprüfungen, dass die in Frage kommenden Würmer aussereuropäischen Ursprungs waren und durch irgendwelche Zufälligkeiten eingeschleppt waren.
In China verwendet man diese Leuchtsekrete der Insekten zum Schreiben sogenannter Geheimbriefe, deren Schriftzüge nur des Nachts bei starker Dunkelheit hervortreten.
Ob die Leuchtkraft der Regenwürmer im Zusammenhang mit geschlechtlichen Funktionen steht oder ob sie zur Verteidigung oder Abschreckung gegen natürliche Feinde dienen soll, ist noch zweifelhaft. Bei den bekannten Insektarten, z. B. wie schon erwähnt bei den Johanniswürmern, ist es Tatsache, dass die weiblichen, nicht flugfähigen Exemplare zum Anlocken der Männchen über bedeutend stärkere Leuchtkraft verfügen. Ich habe stellenweise gesehen, dass Wiesenabhänge gleichsam mit tausenden von grünlichblauen Diamanten übersät waren und dadurch ein entzückendes Bild boten. Alle diese funkelnden Diamanten waren die weiblichen Johanniswürmer, welche die im Verhältnis weniger zahlreichen, herumfliegenden Männchen im regen Konkurrenzkampfe heranzulocken suchten.
Es ist zu bedauern, dass unser deutscher Wald nicht noch mehr solche Leuchtinsektarten birgt. In den Tropen sollen die nächtlichen Wälder einen überaus wunderbaren Anblick durch die zu tausenden herumfliegenden Leuchtkäfer und Nachtfalter bieten.
In Java tragen vornehme Javanerinnen als Kopfschmuck in kleinen Glaskörperchen ins Haar gesteckte Leuchtcikaden, die einen reizvollen Haarschmuck bilden.
Empfehlenswert ist es, wenn interessierende Forscher ihr Augenmerk auf dieses noch ungeklärte und noch allerlei interessante Möglichkeiten bietende Forschungsgebiet lenken.