Entenjagd
Anmerkung von Volker Lechler
[Der nun folgende, im Original handschriftlich verfasste Aufsatz wurde, wie aus dem Zusammenhang zu entnehmen ist, von Eugen Grosche nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben. Die im Text kleiner geschriebenen Stellen sowie Durchstreichungen sollen verdeutlichen, dass Grosche hier Korrekturen eingefügt hat. Ich habe den Satzumbruch bewusst so belassen, damit die Authentizität nicht verfälscht wird.]
Entenjagd
von
Dr. E. Grosche, Berlin.
Entenjagd Auszug
Die Sonne beginnt soeben hinter dem niederen Höhenkamm
im Osten heraufzukletternsteigen und ihre ersten blitzenden Strahlen zerreißen
die fahle, graue Morgendämmerung, huschen schnell über den See,
und lassen die weißen Wellenkämme goldigschimmernd aufleuchten.
Über der Seeniederung, zwischen den hohen Binsen und über dem Schilfe
liegt noch dichter grauer Morgennebel, aber schon beginnt die
Sonne mit den häßlichen grauen Schwaden aufzuräumen. Ein leichter Morgen-
wind bringt vom See ein vielstimmiges Konzert herüber. Das
Gequarre und Pfeifen der Enten und das heisere Bellen und
Kläffen der Taucher, das Rufen der TeichWasserhühner. Ganz deutlich vermag
ich die grobe Stimme des alten Tauchers herauszuhören, der dort unten dicht an dem
verfallenen Seestege seinen Standplatz hat, herauszuhören. Der
alte Bursche mit dem starken, dunklen Halskragen spottete bis jetzt
jedem Nachstellen. Er hatte reichlich aus all den vergeblichen Ver-
folgungen gelernt und anscheinend seine Konsequenzen gezogen,
denn ich kam nie mehr auf ihn zum Schuß, obwohl ich ihm
oft Morgens und Abends einen Besuch abstattete. Nun, so
will ich auch heute noch mal einen Versuch mit ihm machen.
Leise pirsche ich zu dem alten, verkrüppelten Wachholderstrauch,
der dicht am Schilfrande steht, wo die halbverfaulten Holzbalken
des Seestegs beginnen. Ich nehme das Glas. Wahrhaftig, da ist
er! Natürlich wieder an seinem alten Lieblingsstelleplatz vorn an der Schilf-
spitze vorn. Andauernd bellt und kläfft er und. Es liegt ein
eigenartiger Tonfall in seiner tiefen, heiseren Stimm: als ob er
wütend auf sich selbst und die ganze Welt wäre. Allerdings
ist ja ein aufgezwungenes, unverhofftes Einsiedlerleben schwer zu
ertragen, denn sein Weibchen schoß ihm ein Jagdfreund schon vor einigen
Wochen schon weg. Aber warum wandert auch der alte Kerl
nicht aus und geht wieder unter Seinesgleichen, anstatt mit einer
erstaunlichen Zähigkeit seinen gefährdeten Platz an der Schilfspitze
inne zu behalten und mich andauernd zu veralbern. Soll das etwa
eine Art Rache sein? ][ Behutsam Vorsichtig und langsam krauche ich auf
allen Vieren den Steg entlang nach vorn, verstecke mich sorgsam
hinter jedem schwarzen Pfosten. Die Wellen brechen sich leise
rauschend am Schilfrande, und wiegen die hohen Halme hin und
her, und plätschern gegen die halbmorschen Pfähle des Steges. Da
beginnt dicht neben mir ein Rohrsänger sein erstes Morgenlied und
huscht von Halm zu Halm, herauf und herunter. Hoffentlich bemerkt
er mich nicht und warnt den Alten. Doch dieser bellt unverdrossen
weiter, verschwindet ab und zu im Schilf und kommt wieder hervor.
So, jetzt bin ich bereits in Schußnähe, noch ein Pfosten und dann
hast Du verspielt Alter. Behutsam ziehe ich das Gewehr hervor.
Da plötzlich hält das Viech der Bursche mit seinem melodischen Gequärre ein,
und äugt aufmerksam zu dem Steg herüber. Ich liege dicht auf
die Bohlen gedrückt, das Gesicht hinter dem Pfosten versteckt. Viel
wird er von mir nicht sehen können, Doch die Sache kommt
ihm bereits verdächtig vor. Langsam drückt er sich näher an das
Schilf heran, noch immer zu mir heräugend, bereit, blitzschnell
zu tauchen. Ich wage keine Bewegung. So verlief bisher die
Sache jeden Morgen. Entweder, ich kam garnicht in Schußweite
heran, oder er verschwand im letzten Augenblick im Schilfe. Jetzt hatte er
die ersten Halme erreicht und wandte wendet eine Sekunde den spitzen
Kopf nach vorn. Das Und dies genügt für mich. Im nächsten Augenblick drücke
ich ab. Ein Knall, ein Rascheln im Schilf, erschrocken fliegt der
Schilfrohrsänger davon, weiter draußen im See stehen ein paar Enten
auf vom Schuß erschreckt und. Da liegt nun der alte Bursche und dreht den schneeweißen
Bauch nach oben. Ich gehe zurück, mache eine das vorn liegende
Boot los und hole ihn mir. ][ Da hätte ich dich also, mein lieber
alter Herr! Wie fest die geölten Bauchfedern anliegen und sein dichter
Kragen schimmert dunkelrotbraun. Ich stopfe ihn in den Rucksack,
und mir eine neue Morgenpfeife. Fünfmal war ich der Geprellte,
jetzt bist du es! Aber deine schöne tiefe Stimme wird mir nun
morgens fehlen. –
Langsam bummle ich nun weiter am Seerand entlang.
Der Alte war wenigstens ein guter Anfang. Den Hund habe ich
zu Hause gelassen, denn der See ist hier an den meisten Stellen
sehr flach. Eine Sandbank zieht sich weit hinaus, sodaß ich mir
selbst meine Beute holen kann. Außerdem bereitet es mir bedeutend
mehr Spaß, ohne Hund die Enten anzuschleichen. Der Wind steht
jedenfalls günstig. ][ Ein herrlicher taufrischer Morgen ist nun angebrochen aufgegangen.
Im Schilfe singt und zwitschert es, denn allerlei kleines Zeug
brütet hier. Überall wiegen sich Schilfsänger und Rohrammern
an den langen Halmen der Pumpkeulen, In dem runden, niedrigen
Weidenbusche lärmen ein paar Grasmücken. Dort über der nächsten Kiefer
jagen sich ein paar Rohramseln Brachvögel Meisen. Eine Schar Krähen kommt
quärrend über den See und strebt dem Walde zu. Doch
als sie die Galgenvögel mich sehen, biegen sie spitz ab. Die Galgenvögel
Dort Weit hinten hoch über dem See eine lange Kette Enten, siebzehn Stück zähle
ich durch das Glas. Auf der Sumpfwiese dort vor mir steht langbeinig ein Storch
herum und hüpft in komischen Sprüngen von dannen, als er
mich gewahr wird. Da, plötzlich ein Plätschern kurz vor mir, während ich nach
dem Storche schaute, steigt da ein alter Erpel auf. Ich reiße hoch.
Punmms! Vorbei! Den zweiten Schuß lasse ich. Schade um den
Grünhals. ][ Nun muß ich erst wieder ein ziemliches Stück gehen,
denn vor dem Schuß hat sich ja alles vor mir verkrochen. Nach
einer Weile taucht dort eine niedere verkrüppelte Kiefer auf, die
bietet eine gute Deckung auf ein immer besetztes Entenloch im
Schilfe bietet. Ich schleiche vorsichtig auf den Knien näher, und richte mich
langsam hinter dem braunen Stamme auf. Nichts! Blank blinkt
die kleine leere Wasserfläche zu mir herüber. Ich warte eine
Viertelstunde. Da raschelt es ihm im Schilf. und Eine Rohrhuhnmutter
führt ihre schon ziemlich großen erwachsenen fünf Jungen quer über die kleine
Bucht und verschwindet wieder im Schilfe. Ich nehme Nun versuche ich es mit der Entenquarre
und lasse mehrmals in kurzen Intervallen das Locken eines jungen
Entenfräulein ertönen. Nichts! Kein Enterich Erpel Bewerber antwortet. Ich locke
rufend wie eine Mutterente, keine Antwort. Nach einer halben Stunde
vergeblichen Wartens will ich müde und ungeduldig hinter der Deckung
hervortreten, da raschelt es wieder dort hinten in der Ecke und die
Halme bewegen sich. Quarr, Quarr tönt es, und ein Entenpäärchen
kommt zum Vorschein. Ich drücke mich fester an den Stamm und
erstarre zu Erz. So, jetzt kommen sie in eine halmleere Stelle.
Pumms, Rumms! Und bald Da habe ich sie Beide. Ich wate vorsichtig
in dem flachen Wasser heran, das Gewehr schußfertig im Arm,
da und plötzlich steht vor mir ein Erpel auf, der sich anscheinend vorher
unbemerkt ganz lautlos dicht genähert hatte, und sich nun dann nicht getraute abzu-
streichen. Doch es war nun für ihn zu spät. Ich hole ihn herunter und der alte Taucher im Rucksack bekommt
eine dreiköpfige Gesellschaft.][ Dann schlendere ich wohlgemuth weiter.
Die Luft ist weich und warm, und die Blumen blinken und duften
in dem dunkelgrünen Grase. Dicht vor mir verschwindet schlängelnd
ein Prachtexemplar von einer Ringelnatter im Schilf und ab und
zu plumpst ein dicker Frosch erschrocken von meinem Tritt ins
seichte Wasser. Der Boden wird jetzt sumpfiger und gibt unter
meinen Tritten nach. Große, dichte Moospolster verdrängen all-
mälig das Gras. Ich werde in meinen Bewegungen vorsichtiger, denn
ich jetzt nähere ich mich jetzt einem besonders idealen Entenbruch, auf dem
ich bisher immer etwas fand. Nur verdarb Tell mein Hund durch
sein Platschen in dem sanften Moose mir den Anschuß, und die
Enten strichen stets vorher ab. Leise schleiche ich näher. Setze vorsichtig
Fuß vor Fuß. In meinen Fußstapfen bildet quilt Wasser hervor;
das Moos quietscht leise. Der Wind steht gut und so komme
ich auf Schußnähe heran. Hohe Binsen stehen hier, und es gibt leider
keine Deckung zum Ansitz. Anscheinend liegt hier dort nichts. Also
noch etwas näher. Da kurz vor mir ein Angstgequärre, raschelnd
stiebt es auseinander, doch nichts geht hoch, alle versuchen das schützende
dicke Schilf zu gewinnen. Ein Satz, und ich bin näher. Bis über
die Knöchel versinke ich im Schlamm. Aber da ist die Gesellschaft!
Vier, fünf, sechs Stück, ein [ganzes Gehege]. Ich halte drauf und
steche zweimal ab. Das Resultat: Die Alte und 2 Jungenten. Zwar
sehen diese noch ziemlich dürftig aus, denn die Entenjagd ist
noch nicht lange angegangen, und das Frühjahr war recht trocken.
So, nun ist hier nichts mehr zu wollen, denn das nächste Bruch
dort, gehört bereits dem Nachbar. Schade, denn gestern sah ich dort
zwei Reiher niedergehen.
Wohlgemut stapfe ich nun heimwärts, denn ich bin mit
dem Streifenergebnis ohne Hund von 6 Enten zufrieden. ][ Tell machte jedenfalls
ein urkomisches Faltengesicht, als ich die sieben Tiere auspackte.
Anscheinend dachte er, ohne ihn geht ginge es nicht. Na, tröste Dich alter
Freund, morgen machen wir die Sache mit Dir noch einmal. Und heute
Abend will ich auf das andere Ufer hinüber, wo der Sechserbock
aus der Fichtenschonung auf den Hafer heraustritt. Diesmal muß er
daran glauben, falls er nicht in die Nachbarjagd hinüber wechselt. –
Welch kostbare Stunden birgt doch ein freies Jägerleben!