Ameisenkreige
Anmerkung von Volker Lechler
[Der nun folgende, im Original handschriftlich geschriebene Aufsatz wurde von Eugen Grosche verfasst. Die im Text kleiner geschriebenen Stellen sowie Durchstreichungen sollen verdeutlichen, dass Grosche hier Korrekturen eingefügt hat. Ich habe den Satzumbruch bewusst so belassen, damit die Authentizität nicht verfälscht wird.]
Ameisenkriege
von
Dr. Eugen Grosche, Berlin
Es ist wohl bereits allgemein bekannt, daß besonders in der
Welt der Insekten die Gewaltherrschaft in voller Blüte steht. Die
Existenz des Einzelwesens beruht hier sehr oft nur auf der Überwältigung
von schwächeren Gegnern oder Artgenossen. Oft ist auch bloße Raubgier
oder die Sorge um die Fortpflanzung der Anlaß zu blutigen Kämpfen.
Ein vorzügliches Beispiel dafür, daß sogar umfangreiche, systematische
Kriege geführt werden, bieten uns eine Anzahl unserer einheimischen
Ameisenstämme. Hier sind besonders die roten Raubameisen und die
allerdings in manchen Gegenden selten vorkommenden sogenannten
Amazonenameisen zu nennen. Beide Arten gehören zu den Völckern [sic!], die darauf
angewießen sind, sich Sklavenameisen zur Pflege der Nachkommen-
schaft, zur Instandhaltung des Nestes, bei den Amazonen sogar zur
eigenen Ernährung, zu halten. Diese Sklaven verschaffen sich die
Raubameisen durch Überfälle und Plünderungen der in der Nähe liegenden
benachbarten Nester anderer Ameisenarten. Langwierige Kämpfe finden
statt, da die überfallenen Völcker [sic!] sich meist ganz energisch zur Wehr
setzen. 1 Einen besonders interessanten Kampf konnte ich vergangenen
Sommer beobachten. Ich fand eines Tages in der Mittagsstunde ein
von mir bereits oft beobachtetes Nest der roten Raubameisen – inmitten
eines alten, vermorschten Baumstumpfes – in voller Aufregung. Die
Oberfläche des Stammes wimmelte bereits von zahlreichen ins Innere
des Nestes führenden Gängen. Plötzlich setzte sich die ganze Menge
nach einer Richtung in Bewegung und bald hatten sich nach meiner
Schätzung ungefähr 5–600 Ameisen zu einem ziemlich regelmäßigen
Zuge geordnet, welcher sich in einem raschen Tempo quer über
eine schmale Waldlichtung nach der anderen Waldseite zu bewegte.
Nach 10 Minuten waren die Tierchen an ihrem Ziele, einem
großen, bemoosten Steine angelangt und begannen, in das unter
dem Steine befindliche Nest der kleinen roten Knotenameise einzudringen.
Diese hatten jedoch die ankommenden Feinde rechtzeitig bemerkt, denn
aus allen Öffnungen drangen die wütenden Verteidiger hervor. Und
bald war die nähere Umgebung des Steines der Schauplatz eines mit
großer Erbitterung von beiden Seiten geführten Kampfes. Zu ganzendichten
Klumpen hatten sich die Kämpfer bald vermengt und bissen und stachen
auf einander los. Die Verteidiger waren sogar in der Überzahl. Aber
trotzdem tauchten nach 2 Minuten an den Eingängen zahlreiche
rote Raubameisen auf, die geraubte Puppen in ihren Zangen hielten und
sich nun eiligst aus dem Staube machten. Nach ungefähr fünf
Minuten waren die meisten Räuber wieder auf dem Rückzuge begriffen und
wurden eine Strecke des Weges auf das Nachdrücklichste verfolgt.
Wehe den Nachzüglern. Von den zahlreichen Verfolgern wurden sie
umringt, der Raub wurde ihnen abgenommen und sie wurden sämt-
lich durch die wütenden Stiche der Knotenameisen getötet. Trotz-
dem hatte sich die Sache gelohnt, denn die geraubten Puppen zählten
nach Hunderten und der Verlust an Toten war garnicht besonders
groß. Nach drei Tagen um die gleiche Mittagsstunde fand der-
selbe Überfall des gleichen Nestes nochmals statt mit demselben
guten Resultate. Manche Forscher haben 40 Raubzüge immer des gleichen
Stammes im Monat beobachtet. Die geraubten Puppen werden
soweit sie beschädigt sind, aufgegessenverzehrt, der größte Teil wird jedoch
von den bereits im Neste vorhandenen Sklaven sorgsam gepflegt und
aufgezogen und somit der Sklavenbestand stetig vermehrt. So kommt
es vor, daß in einem Neste oft 4–5 verschiedene Sklavenarten
einträchtig ihre Arbeitsdienste tun. Alle fühlen sie sich wohl in
dem Neste ihrer Herren und gehen ihren Beschäftigungen nach, denn
sie wissen es ja nicht anders, da sie ja doch im Neste geboren
wurden. Sie besorgen die Brutpflege und vergrößern den Nestbau; die
Sklaven der Amazonenameisen müssen sogar ihre Herren füttern, da
die Amazonen ihre Nahrung nicht selbst zu sich nehmen können.
Einen zweiten interessanten Überfall konnte ich in meinem
Insektarium beobachten, obwohl derselbe aus anderen Motiven erfolgte.
Ich hatte in dem Insektarium einen Stamm der kleinen Haideameise
angesiedelt, der prächtig in der Gefangenschaft gedieh. Tag und Nacht
hatten die kleinen graubraunen Gesellen ihre Gänge gegraben
und ihre Kammern angelegt, mit Vorliebe an den Glaswänden
des Insektariums entlang, sodaß ich stellenweise sehr gute Beobachtungs-
möglichkeiten hatte. Trotzdem sich das Insektarium, wenn es gut
angelegt ist, sich vorzüglich zum Beobachten des Lebens der
Ameisen außerhalb der Nestes, ihren Jagdzügen, Kämpfen, dem
Einbringen der Beute u.s.w. eignet, kann ich doch empfehlen, sich
ein sogenanntes künstliches Cementameisennest herzustellen. Erst ein
solches gestattet hochinteressante Einblicke in das Innenleben
der Ameisennester. Man kann siedie Tiere dann bei ihrer Brutpflege und
ihren häuslichen Arbeiten bequem beobachten. Vielleicht komme ich in
einem späteren Artikel auf die Anlage eines solchen künstlichen
Nests zurück. Ich hatte also eines Tages ein künstliches
Nest der roten Knotenameisen durch ein dünnes Gummiröhrchen
mit dem Insektarium verbunden und bald sandten die
Knotenameisen zahlreiche Späher aus, die sich das neue Terrain
ansahen und es erforschten. Wenn sie dabei Haideameisen be-
gegneten, wichen sie diesen vorsichtig aus. Und nach einigen
Tagen zog der ganze Stamm der Knotenameisen hinüber in das
Insektarium. Das schöne, künstliche Nest mit allen seinen geräumigem
Kammern, ließ in dem ich sie so betreut und gepflegt hatte,
ließen sie schnöde im Stich. Und nun entbrannte auch in
dem Insektarium ein wilder Krieg, denn die Haideameisen
wollten ohne Kampf nichts von ihren Gebiete an die Ein-
dringlinge abgeben. Vier Tage lang, über und unter der Erde,
tobte die Schlacht, in allen Gängen und Kammern wütete
sie. Oft schleppte eine Knotenameise 3–4 Gegner, die sich fest
an ihr verbissen hatten, an der Glasscheibe des Insektariums
entlang. Und die Todten [sic!] mehrten sich stündlich. Ich zählte später beim
Aufräumen des Schlachtfeldes über 100 todte [sic!] Haideameisen und
die Knotenameisen hatten auch ungefähr 30 Mann Verluste er-
litten. Dann waren die Haideameisen besiegt. Und nun konnte
ich eine interessante Beobachtung machen, die von einer gewissen
Intelligenz der Tierchen zeugte. Der Rest der Haideameisen zog
sich in eine Ecke des Insektariums zurück, vermauerte alle
dorthin führenden Gänge sorgfältig und begann, sich neue Kammern
und Gänge zu graben, die jedoch überraschender Weise nur
2 mm hoch waren, gegen einen früheren Durchmesser von 5 mm.
Auf diese Weise hatten sich sie Tiere einen Schutz gebildet, denn
für die größeren Knotenameisen waren nun die neuen Gänge
unpassierbar. Die Feinde begnügten sich auch mit dem eroberten
Terrain und begannen sich häuslich einzurichten, und noch heute
leben beide Stämme, allerdings in steter Kriegsbereitschaft, in dem
Insektarium teils neben-, teils übereinander. Derartige
Beobachtungen kann jeder InteressentNaturfreund machen, wenn er
sich eine solche Kolonie zulegt. Die Tierchen beanspruchen
verhältnismäßig wenig Pflege und Aufmerksamkeit. Auf
jeden Fall verursachtbereitet das Treiben der Ameisenvölcker [sic!]
in einem zweckmäßig angelegten Insektarium oder in
einem künstlichen Neste dem Beobachter interessante Stunden
und Freude, abgesehen von den zahlreichen Studienmöglichkeiten.
1 Diese eckigen Klammern stammen von Grosche.